Kartierwochenende am 11./12. Juli 2009 am Bodensee (TK 8120/3)


von THOMAS BREUNIG

ie Erfassung von Farn- und Samenpflanzen im Quadranten 8120/3 war Ziel des Kartierwochenendes am 11. und 12. Juli 2009. An der Kartierung beteiligt waren Thomas Breunig, Gunter Müller, Monika Müller und Harald Streitz. Untersucht wurden bei vier halbtägigen Exkursionen Landschaftsaus-schnitte des Naturraums Hegau – Westliches Bodenseebecken zwischen den Ortschaften Bodman, Ludwigshafen, Espasingen und Stockach sowie die Ortslagen von Bodman und Ludwigshafen. Geologisch gekennzeichnet ist das zwischen 395 und 572 m ü. NN gelegene Exkursionsgebiet durch Untere Süßwassermolasse, würmzeitliche Grundmoränen und pleistozänen Hangschutt. Insgesamt hatten die vier Exkursionsrouten eine Länge von 11,2 Kilometer. Nimmt man bei vier Teilnehmern großzügig einen Beobachtungsstreifen von durchschnittlich 20 m Breite an, ergibt sich eine Beobachtungsfläche von 22,4 Hektar, was einem Flächenanteil von 0,64 % an dem etwa 35 km² großen Quadranten entspricht. Auf dieser Fläche wurden 457 Sippen registriert, davon 261 nur bei einer Exkursion, 116 bei zwei Exkursionen, 77 bei drei Exkursionen und 63 auf allen Exkursionsrouten. Von den festgestellten Sippen waren 92 neu für den Quadranten, so dass sich dessen nachgewiesener Artenbestand von 624 auf 716 erhöhte.

Treffpunkt und Start der ersten Exkursion war der Bahnhof von Ludwigs-hafen.

Neben dem für Bahnschotter charakteristischen Schmalblättrigen Hohlzahn (Galeopsis angustifolia) wuchsen hier auf Ruderalflächen und in Pflasterfugen etliche für den Quadranten bislang noch nicht nachge-wiesene Arten, zum Beispiel Kahles Bruchkraut (Herniaria glabra), Portulak (Portulaca oleracea), Dach-Trespe (Bromus tectorum), Eschen-Ahorn (Acer negundo) und Schmalblättriges Greiskraut (Senecio inaequidens). Vom Bahnhof ging es entlang des Bodenseeufers ein kleines Stück nach Westen bis zu einem Bahnübergang. Eine Chance, seltene Arten der Bodensee-Strandrasen entdecken zu können, bestand wegen des hohen Wasserstandes leider nicht. Vom Bahnübergang ging es weiter zur Bundesstraße 34, an deren Böschung Harald Streitz bereits einige Jahre zuvor den seltenen Wurmlattich (Picris echioides) entdeckte. Da Vorkommen dieser Art allgemein als eher unbeständig gelten, machten wir uns wenig Hoffnung auf einen Wiederfund, wurden aber eines besseren belehrt: Auf der Böschung zwischen Radweg und Straße wuchs der Wurmlattich immer noch in großer Menge. Ebenfalls an der B 34 wuchs die viel häufigere, bei floristischen Kartierungen aber gerne übersehene Kirschpflaume (Prunus cerasifera). Dieses Gehölz wird sehr häufig als Veredlungsunterlage für Steinobst (Pflaume, Zwetschge, Mirabelle) verwendet und verwildert leicht. Über seine genaue Verbreitung wissen wir noch wenig. Vermutlich ist die Kirschpflaume inzwischen aber in allen wärmeren Tieflagen auch als Wildpflanze weit verbreitet.
Weiter ging es zum Friedhof von Ludwigshafen, wo die für Friedhofs-wege sehr charakteristische Gefleckte Schiefblattwolfsmilch (Euphorbia maculata) fanden, außerdem mit dem Fremden Ehrenpreis (Veronica peregrina) und der konkurrenzstarken Spanischen Fetthenne (Sedum hispanicum) zwei weitere Neophyten, die sich in Südwestdeutschland in Ausbreitung befinden. Der Rückweg zum Bahnhof durch das Dorf brachte dann nicht mehr viel Neues, sieht man von einigen Unkräutern wie dem Glänzenden Ehrenpreis (Veronica polita) ab, die inzwischen in Gärten häufiger wachsen als auf Äckern, wo sie früher ihren Verbreitungsschwerpunkt hatten.

Die zweite Halbtagsexkursion begann am Nordrand von Espasingen und hatten den an das Dorf anschließenden südwestexponierten Hang (Gehäu, Provensiberg) sowie die oberhalb folgende auffällige Verebnung („Tal“) zum Ziel. Im Bereich des „Gehäu“ durchstreiften wir einen naturfernen Wald mit Fichten- und Kiefern-Anpflanzungen. Auf kleinen Lichtungen kamen hier noch Relikte der ehemaligen Magerrasenflora vor, auch das Immenblatt (Melittis melissophyllum) kümmerte hier noch in wenigen Pflanzen. Im Fichten-Forst fielen über 30 Exemplare des Weißen Waldvögleins (Cephalanthera damasonium) und ein Exemplar des Echten Fichtenspargels (Monotropa hypopitys) auf. Auch die Esskastanie (Castanea sativa) wuchs in diesem Waldgebiet, diese Art scheint sich allmählich im Bodenseegebiet zu etablieren.

Auf der Verebnung des „Tals“ stießen wir nördlich des Wasserbehälters auf einen Acker mit bemerkenswerter Unkrautflora. Am Rand eines Gerstenfelds wuchsen hier jeweils mehrere hundert Exemplare des Echten und des Unechten Tännel-Leinkrautes (Kickxia elatine, K. spuria), außerdem Kleine Wolfsmilch (Euphorbia exigua), Acker-Röte (Sherardia arvensis) und Gezähnter Feldsalat (Valerianella dentata).
Weiter ging es nach Westen auf dem am Waldrand verlaufenden Weg am Fuß der Heiligenhalde. Die zum Wald hin gerichtete Wegböschung beherbergte eine artenreiche Saumvegetation. Unter anderem wuchsen hier Genfer Günsel (Ajuga genevensis), Berberitze (Berberis vulgaris), Rotbraune Stendelwurz (Epipactis atrorubens), Florentiner und Savoyer Habichtskraut (Hieracium piloselloides, H. sabaudum), Hirsch-Haarstrang (Peucedanum cervaria) und Schopfiges Kreuzblümchen (Polygala comosa).
Nach einer zweiten Querung des „Tals“ erreichten wir den Provenisberg. An seinem nördlichen Waldrand wuchsen in einer brachliegenden Glatt-hafer-Wiese viele Dutzend zum Teil riesige Exemplare des Großen Zweiblatts (Listera ovata). Auf dem Hügel selbst fanden wir einen seit langem brachliegenden, von Wald umgebenen Magerrasenrest mit Eiblättrigem Sonnenröschen (Helianthemum ovatum), Großer Brunelle (Prunella grandiflora) und Tauben-Skabiose (Scabiosa columbaria). Auch südlich des Provenisbergs gab es auf sehr kleinen Flächen (wenige Quadratmeter) noch Magerrasen, hier mit Pyramiden-Kammschmiele (Koeleria pyramidata) und Blutrotem Storchschnabel (Geranium sanguineum). Der Rückweg zum Dorf durch die Feldflur erbrachte dann noch Nachweise von einigen im Bodenseegebiet nicht sehr häufigen Unkräutern, zum Beispiel von Stechapfel-Gänsefuß (Chenopodium hybridum), Acker-Krummhals (Anchusa arvensis) und Knollen-Platterbse (Lathyrus tuberosus).

Am Sonntagmorgen war das Ziel der dritten Exkusion das große, zwi-schen Espasingen und Stockach gelegene Waldgebiet „Bogental“. Unsere Route verlief fast ausschließlich durch Wald, ausgenommen eine Waldwiese im Bereich „Wolfssteig“, wo wir auf einem Wildacker die Kornblume (Centaurea cyanus) und etwa 50 Exemplare der seltenen Giftbeere (Nicandra physalodes) in einer Maisanpflanzung fanden. Bei den Wäldern handelte es sich zum kleineren Teil um naturnahen Waldmeister-Buchen-Wald und um Feuchtwälder, zum größeren Teil aber um Forstkulturen von Rot-Eiche (Quercus rubra), Gewöhnlicher Fichte (Picea abies), Wald-Kiefer (Pinus sylvestris), Europäischer und Japanischer Lärche (Larix decidua, L. kaempferi). Charakteristische Arten des Waldmeister-Buchen-Waldes waren Dunkles Lungenkraut (Pulmonaria obscura), Waldgerste (Hordelymus europaeus), Frühlings-Platterbse (Lathyrus vernus) und Nickendes Perlgras (Melica nutans). Interessant war ein Erlen-Eschen-Feuchtwald in der Quellmulde des nach Norden zur Stockacher Aach hinab ziehenden Bächleins. Unter dem lichten Schirm der Baumkronen dominierte die Sumpf-Segge (Carex acutiformis), in kleinen Beständen traten außerdem Akeleiblättrige Wiesenraute (Thalictrum aquilegiifolium), Seidelbast (Daphne mezereum), Faulbaum (Frangula alnus) und Breitblättriger Rohrkolben (Typha latifolia) auf, also eine bunte Mischung von Arten, die selten einmal miteinander wachsen.

Den Abschluss des Kartierwochendes bildete am Sonntagnachmittag eine Exkursion durch Bodman. Wir starteten bei den Sportplätzen am Nordrand des Ortes. Als erste bemerkenswerte Art fiel uns – noch bevor wir das Bad erreichten – der Erdbeer-Klee (Trifolium fragiferum) auf, der auf 2 m² in einem artenarmen Trittrasen wuchs. Die Route durch den Ortskern ergab dann für den Quadranten noch einige Neunachweise, zum Beispiel von Stinkender Schwarznessel (Ballota nigra subsp. meridionalis), Portulak (Portulaca oleracea) und der inzwischen auch im Bodenseegebiet nicht mehr seltenen Indischen Scheinerdbeere (Duchesnea indica). Auch am weitgehend verbauten und deshalb schwer zugänglichen Bodenseeufer fanden wir noch zwei neuen Arten: Hier wuchsen Steifes Barbarakraut (Barbarea stricta) und Raps (Brassica napus), zwei Arten, die sich inzwischen an etlichen Stellen des Bodenseeufers etabliert haben, zum Beispiel auch auf der Insel Reichenau. Da sich Bodman als floristisch nicht besonders ergiebig erwies, stoppte der Biergarten an der Seepromenade unseren Forscherdrang und wir beendeten hier die Exkursion.

Zum Schluss stellt sich die Frage, woher kommen die 92 neu nachge-wiesen Sippen? Wenn wir uns diese Sippen anschauen und dabei berücksichtigen, wie oft sie in den angrenzenden acht Quadranten vor-kommen, kristallisieren sich die folgenden Artengruppen heraus. Bei den als Beispiele aufgeführten Sippen, gibt die erste Zahl an, auf wie vielen der vier Exkursionen die Sippe beobachtet wurde, die zweite Zahl in wie vielen der angrenzenden Quadranten die Sippe bereits nachgewiesen wurde. Wenn für die Sippe im Grundlagenwerk „Die Farn- und Blüten-pflanzen Baden-Württembergs“ keine Verbreitungskarte existiert, steht anstelle der Zahl ein „k“.

•    Regional häufige Sippen, die bisher zufällig nicht angetroffen oder übersehen wurden: Aethusa cynapium (1/6), Campanula patula (1/7), Hypochaeris radicata (2/7), Sagina procumbens (3/7);
•    Regional seltene oder höchstens zerstreut auftretende Sippen, die aufgrund ihrer relativen Seltenheit bislang noch nicht erfasst wurden: Chenopodium hybridum (1/2), Gnaphalium sylvaticum (1/2), Kickxia spuria (1/2), Geranium dissectum (2/0);
•    Im weiteren Sinne bestimmungskritische Sippen, die bei Katierungen gerne übergangen werden: Alchemilla xanthochlora (1/0), Carex spicata (3/5), Molinia arundinacea (2/2), Rosa corymbifera (1/0);
•    Sippen, die wegen ihres unklaren Status, anthropogener Wuchsorte oder ihres nur unbeständigen Auftretens häufig nicht erfasst werden: Brassica napus (1/0), Melissa officinalis (1/k), Prunus cerasifera (1/k), Rubus armeniacus (3/0);
•    sich ausbreitende Sippen, die früher im Gebiet nicht oder nur selten vorkamen: Artemisia verlotiorum (1/1), Buddleja davidii (2/k), Duchesnea indica (1/k), Epilobium ciliatum (2/1).
Im Einzelfall kann natürlich nicht mit Sicherheit, sondern nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, warum eine Sippe bislang nicht nachgewiesen wurde – vor allem deshalb, weil Art und Umfang floristischer Erhebungen bislang nur selten genau dokumentiert werden.