Seitz B., Ristow M., Prasse R., Machatzki B, Klemm G., Böcker R. & Sukopp H. 2012: Der Berliner Florenatlas. – Verh. Bot. Ver. Berlin Brandenburg, Beiheft 7, 533 S. ISBN 978-3-942062-08-4


von THOMAS BREUNIG

Berlin ist eine Reise wert – nicht nur wegen Kunst und Kultur! Für Freunde der Wildpflanzen zeigt dies der Berliner Florenatlas, der die große Artenvielfalt dieser Stadtlandschaft an Farn- und Samenpflanzen dokumentiert. Über einen Zeitraum von 25 Jahren durchstreiften Botani¬kerinnen und Botaniker die Stadt, um die Vorkommen wild wachsender Pflanzenarten zu erfassen. Nun haben sie das Ergebnis ihrer Kartierung in dem gewichtigen Werk (gut 2 kg) publiziert. Kartiergebiet waren alle 153, jeweils etwa 7,3 km² großen Viertelquadranten der Topographischen Karte 1:25.000, an denen die Stadt Berlin einen Flächenanteil besitzt. In diesem Gebiet erhoben sie im Gelände fast 127.000 Funddatensätze, über 50.000 weitere kamen durch die Auswertung von Literatur und Herbarien hinzu.

Als Einleitung enthält der Atlas Informationen zur Landschaft Berlins, zur Geschichte der Floristik, zum Florenschutz und zur Methodik der Datenerhebung, -verarbeitung und -auswertung. Zum Teil sind diese Informationen ausführlich, wie etwa der Überblick zur Geschichte der Floristik, zum Teil sind sie auch sehr knapp gehalten wie etwa das Kapitel zur Vegetation.

Wie es bei einem Atlas sein soll, stehen Karten im Mittelpunkt des Werks: Für fast 2.000 Sippen – alle ehemals oder aktuell etablierten Wildpflanzensippen sowie alle nicht nur extrem selten auftretenden Unbeständigen – wird ihre Bestandssituation auf Raster-Verbreitungskarten dargestellt. Zusätzlich erfolgt auf 38 Seiten zu vielen Sippen eine Kommentierung. Meist geht es dabei um Statusfragen oder es handelt sich um Hinweise zu bestimmungskritischen Sippen.

In den Verbreitungskarten werden die Fundnachweise differenziert in fünf Zeiträume (vor 1900, 1900-1949, 1950-1969, 1970-1989, ab 1990) und in vier Statusfälle; entsprechend werden insgesamt 20 verschiedene Nachweissymbole verwendet. Auf den floristischen Status wird ein besonderes Augenmerk gelegt. Unterschieden werden bei indigenen und alteingebürgerten Sippen etablierte und synanthrophe Vorkommen, bei Neophyten dagegen etablierte und unbeständige Vorkommen. Diese Untergliederung erscheint etwas unglücklich und dürfte bei der geringen Größe der Rasterflächen häufig mit größeren Unsicherheiten behaftet sein, was sich bei vielen Sippen auch in den ergänzenden Kommentierungen niederschlägt. Informativer und weniger problematisch wäre es wahrscheinlich gewesen, man hätte nicht die Differenzierung in Indigene/Alteingebürgerte und Neophyten in den Vordergrund gestellt, sondern den Grad der Etablierung (unbeständig, verwildert/verschleppt, Normalstatus).

Als wertvolle Zusatzinformationen enthalten die Verbreitungskarten Angaben zum Gefährdungsgrad der Sippe, bei Ausgestorbenen und Verschollenen das Jahr des letzten Nachweises sowie bei etablierten Neophyten das Herkunftsgebiet und das Jahr des Erstnachweises in Berlin.

Durchschnittlich wurden je Kartierraster 528 Sippen nachgewiesen, insgesamt sind es für das Stadtgebiet 2.445 Sippen. Dies zeugt von dem großen, langjährigen und sehr sachkundigen Engagement bei dieser überwiegend ehrenamtlich durchgeführten Kartierung. Ob die Berliner Flora in Anbetracht dieser Zahlen aber als „außerordentlich artenreich bezeichnet werden“ kann, wie auf S. 45 behauptet, erscheint fraglich. Betrachtet man nämlich nur die etablierten Sippen, reduziert sich die Artenzahl auf 1.400, einen Wert, der auch in anderen Stadtregionen vergleichbarer Flächengröße bei so intensiver Kartiertätigkeit erreicht werden dürfte.

Hier zeigt sich einmal mehr die Krux, dass die meisten regionalen Kartierprojekte die Flora ihres Kartiergebietes möglichst intensiv erfassen möchten, dies aber überall in unterschiedlichem Maße erreichen, so dass die ermittelten Daten – vor allem zur Artenvielfalt – nicht miteinander vergleichbar sind. Es wäre an der Zeit, für solche Kartierungen einmal einen Standard festzulegen, der bei allen Kartierprojekten erfüllt werden kann und dann auch vergleichbare Daten liefern würde. Dort, wo zusätzliche Kenntnisse und weitere Katierkapazitäten vorhanden sind, könnte man dann ja auf eine solche Basiskartierung noch etwas draufsatteln.

Es macht Spaß, in dem Pflanzenatlas zu schmökern, nicht zuletzt auch wegen seiner sehr ansprechenden Gestaltung. Interessant und manchmal auch überraschend ist der Vergleich mit der Flora Südwestdeutschlands. Wer hätte gedacht, dass Ajuga reptans in Berlin eine seltene Art ist und sogar eine Zielart des Berliner Florenschutzkonzepts? Oder dass Carex sylvatica keine autochthonen Vorkommen mehr besitzt und nur selten aus Kultur verwildert auftritt, während bei uns seltene Seggen-Arten wie Carex elongata und Carex ericetorum in Berlin keine Raritäten sind? Erstaunlich häufig wurden viele für naturnahe Biotope charakteristische Pflanzenarten in Berlin nachgewiesen, zum Beispiel Anthericum ramosum, Calama¬grostis canescens und Comarum palustre. Ebenso überraschend ist, dass manche Ruderalarten, die man sich einer Stadtlandschaft gut vorstellen kann, in Berlin sehr selten sind, zum Beispiel die in der Oberrheinebene so häufige Vulpia myurus. So birgt jede Flora ihre Überraschungen!

Vor der nächsten Fahrt nach Berlin gehört zur Reisevorbereitung ein Studium des Florenatlas: Wo wachsen Allium paradoxum, Bryonia alba, Parietaria pensylvanica und weitere Pflanzenarten, die man in Südwest¬deutschland nicht oder nur sehr selten zu Gesicht bekommt? Eines wünscht man sich dafür aber ganz dringend: eine möglichst zweiseitige Übersichtkarte von Berlin, in der die Rasterfelder eingetragen sind, so dass auch ein mit der Berliner Geographie nicht extrem gut Vertrauter ermitteln kann, welche Flächen mit den einzelnen Rasterpunkten gemeint sind.