Kartierung der Flora von Stuttgart – Bericht 2004
(2004) Reinhard Böcker
In jüngerer Zeit wurden seit 1997 vom Institut für Landschafts- und Pflanzenökologie der Universität Hohenheim des Projektes „Flora von Stuttgart“ systematisch Daten zur Pflanzenwelt erarbeitet. Zahlreiche Mitarbeiter waren und sind an der modernen Raster-Kartierung, EDV-Erfassung und Herbarisierung beteiligt.
Um die Geschichte und Dynamik einer Flora beurteilen zu können, sind historische Dokumente nötig. Dadurch, dass am Botanischen Institut der Hochschule Hohenheim Professoren mit breiten floristischen Artenkenntnissen tätig waren, sind aus dem Stuttgarter Gebiet Vorkommen vieler Pflanzen dokumentiert. Insbesondere die von Prof. Oskar Kirchner (geb. 5.9.1851 in Breslau, gest. 25.4.1925 in Venedig, beigesetzt im Zentrum des alten Hohenheimer Friedhofes, von 1881 bis 1917 Professor an der Königl. landwirtschaftl. Akademie Hohenheim) erarbeitete und 1888 erschienene „Flora von Stuttgart und Umgebung“ gibt insbesondere im Fall damals seltenerer Pflanzen Vorkommen an. Solche vergleichsweise exakten Fundortangaben beruhten oft auf floristische Tätigkeiten seiner Vorgänger wie besonders Dr. Franz v. Fleischer (von 1801 bis 1878 Professor der Botanik in Hohenheim), und L.H. Zenneck (von 1779 bis 1859 Professor der Chemie und Botanik in Hohenheim). Einige wichtige floristische Angaben für Hohenheim stammten von Dr. J. Michalowski, Assistent an der Königlichen Samenprüfungsanstalt in Hohenheim.
Für den Fortgang der lokalen Floristik war dann seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts insbesondere KREH verantwortlich. Er hat in einer Vielzahl von Veröffentlichungen Angaben zur Flora von Stuttgart dokumentiert.
Bisher gibt es in keiner Stadt Baden-Württembergs eine neuere Regionalflora. Die letzte umfassende veröffentlichte Flora Stuttgarts von SEYBOLD ist im Jahre 1969 erschienen und somit schon fast 35 Jahre alt.
In den letzten 35 Jahren hat sich jedoch das Stuttgarter Stadtbild stark verändert: Die Bebauung hat weiter zugenommen, die Trümmerflächen, bei SEYBOLD noch vielbeschrieben, sind weitgehend verschwunden und überbaut, die Industriegebiete sind ausgeweitet worden, der Weinbau wurde auf vielen Flächen aufgegeben; teilweise sind diese Flächen brach. Auch der Obstwiesengürtel im Außenbereich ist stark reduziert, die landwirtschaftlichen Flächen sind generell in rapider Abnahme begriffen.
Diese Flächennutzungsänderungen ziehen auch radikale Florenveränderungen nach sich.
Eine Bilanzierung der Florenverluste und -veränderungen kann in eindrücklicher Weise die Entwicklung Stuttgarts in den letzten 30 Jahren nachzeichnen. Fragen, wie die nach dem Einfluss der fortschreitenden Bebauung auf die Florenzusammensetzung, oder Auswirkungen der Ausweisungen von Landschaftsschutzgebieten z.B. an der Wangener Höhe sollen damit beantwortet werden.
Eine der Hauptaufgaben einer Flora des Stadtgebietes aber ist es, die Grundlage für einen sinnvollen Natur- und Artenschutz in einem Gebiet zu bieten, das ihn aufgrund der starken anthropogenen Nutzung besonders nötig hat.
Eine aktuelle ”Flora von Stuttgart” wird als Entscheidungshilfe für Artenschutzprogramme von städtischen Behörden und anderen Interessensgruppen gebraucht, so dass der Natur- und Artenschutz gemäß §1 BNatschG in der Bundesrepublik flächendeckend also auch in den Städten in die Praxis umgesetzt werden kann. So stellt sie Argumentationshilfen bei Planungs- und Bebauungsfragen bereit und kann somit die Position des Naturschutzes auch in Stuttgart stärken.
Sie soll weiterhin bei den Bewohner/innen Stuttgarts um ein stärkeres Verständnis für die heimische städtische Flora werben. Oft wird das „Grün“ in der Stadt von den Bewohner/innen gar nicht wahrgenommen. Mit einer Stadt werden in erster Linie Häuser, Straßen und Fabriken assoziiert. Erst der zweite Gedanke gilt dann den Obstgärten, Weinbergen, Stadtwäldern und anderen Grünflächen. Doch gerade diese „grünen Lungen“ machen das Leben in auch in dieser Stadt erst lebenswert. Daher kann eine ”Flora von Stuttgart” helfen die Sensibilität aller an der Natur Interessierten für die Schönheit und Eigenart dieser speziellen städtischen Flora zu erhöhen und die Motivation zu ihrem Schutz zu verstärken. Eine Flora des Stadtgebietes dokumentiert den gegenwärtigen Florenbestand innerhalb der Stadtgrenzen Stuttgarts.
Gleichzeitig erfolgt neben der Kartierung ein Vergleich mit dem ehemaligen Florenbestand der SEYBOLD`schen Flora und noch früheren Floren. Daraus resultiert eine Florenbilanzierung, die Auskunft über Verluste von Pflanzenarten und Veränderungen von Pflanzenverbreitungen geben kann.
Diese umfassende Bestandsaufnahme über Verbreitung und Gefährdung der Stuttgarter Flora liefert das erforderliche Grundwissen für Artenschutzprogramme und andere Maßnahmen zur Erhaltung der Artenvielfalt.
Durch die „Flora von Baden-Württemberg“, die für die Farn- und Blütenpflanzen fertiggestellt wurde, sind die Kenntnisse der Flora unseres Landes erheblich erhellt und verbessert worden.
Die Angaben zur Flora in Städten kommen dabei jedoch zu kurz; da die Rasterkartierung der Landesflora viel zu grob ist, um sie in Städten anwenden zu können. (Quadrantenraster: 1/4 einer topographischen Karte 1 : 25.000). Es ist notwendig in Städten ein viel feineres Rasternetz als Kartiergrundlage auszuarbeiten, damit das Verbreitungsmuster der Pflanzenarten im Stadtgebiet aussagekräftig wird. Für Stuttgart wird vorgeschlagen auf 1/64 MTB – Raster zu gehen, wobei die Integration einer höheren Auflösung angestrebt wird z.B. auf Baublock – Basis.
Vorgehensweise
Die Voraussetzung für eine aktuelle Flora ist eine gründliche, kritische Bearbeitung und Aktualisierung des seit der letzten Flora Stuttgarts (SEYBOLD 1969) zusammengetragenen Florenmaterials.
Als aktuell gelten Pflanzenfunde und Bestätigungen ab dem Erscheinungsjahr der Flora Seybolds. Bei der Bearbeitung soll der Kenntnisstand aller an der Bearbeitung der Flora beteiligten haupt- und ehrenamtlichen Bearbeiter/innen abgefragt und eingebracht werden.
Neuere Erhebungen liegen z.B. in Form von Diplomarbeiten der Universität Hohenheim, der Universität Stuttgart, in privaten Sammlungen und im Naturkundemuseum vor. Diese Daten sollen gesammelt, kritisch geprüft und in die Flora mit aufgenommen werden.
Gebiete, aus denen kein aktuelles Material vorliegt, müssen in naher Zukunft kartiert werden. Diese Kartierungen werden unter anderem in Zusammenarbeit mit dem botanischen Stammtisch Stuttgart, der aus ehrenamtlichen, botanisch-interessierten Mitgliedern besteht, durchgeführt.
Präzise Angaben zu den Wuchsplätzen der Pflanzen und Beschreibungen des menschlichen Einflusses und der Standortfaktoren erhöhen die Benutzbarkeit der Flora für den angewandten Naturschutz in der Region Stuttgart.
Erfassung und Auswertung der umfangreichen Datenmengen sind nur durch Nutzung von EDV möglich. Das vom Bundesamt für Naturschutz bereitgestellte Programm FLOREIN soll auch weiterhin für die Datensammlung genutzt werden.
Aus der Aufbereitung ergibt sich eine Bilanzierung der Florenverluste und -gewinne durch Abgleich mit älteren Floren und somit Ansätze für konkrete Maßnahmen des Naturschutzes im Bereich der Biotopsicherung.
In der geplanten Bearbeitungsphase sollen in den nächsten Jahren Rasterkarten erzeugt werden. Sie zeigen den gegenwärtigen Florenbestand, regionale Besonderheiten und Rückgänge bei jeder Pflanzenart auf und vermitteln ein eindrückliches Bild des Florenwandels.
Gewünscht ist auch in Zukunft eine rege Mitarbeit an der Kartierung. Die Termine werden jeweils in der Pflanzenpresse und an dieser Stelle veröffentlicht.
Nähere Informationen bei
Reinhard Böcker, Universität Hohenheim, Institut 320, 70593 Stuttgart
boeckerr (at) uni-hohenheim.de